Richard Christian Kähler:


"Mein Lieblingsfilm? Tja, kann sein, das ist jetzt ein bisschen erschütternd für die, die mich als kodderschnauzigen bis eiskalten Satiriker kennen, aber auf der Kehrseite lauert nun mal der Vollromantiker: SHAKESPEARE IN LOVE.
Sah ihn zum ersten Mal 1998, als er frisch herauskam, zusammen mit meiner damaligen Freundin im Kino und war schon da mehr als üblich beeindruckt und berührt. Als Selbst-Schreiberling und stundenlanger Schreibtischhocker natürlich besonders von 'Shakespeares' ewig schwer bekleckerten Tintenfingern. Und fast noch mehr von seiner bedenklich lang anhaltenden 'Schreibblockade'.
Und dann ein paar Jahre später, nach einer neuen, erst ganz großen und dann ganz großartig schief gegangenen Liebe, hab ich mir SHAKESPEARE IN LOVE noch circa hundert Mal auf DVD angeguckt. Und weil mein gequältes Liebeskummerherz damals so dermaßen sperrangelweit und schutzlos offen stand, jedes Mal dabei geheult wie ein Schlosshund. Verdammte Scheiße.

Aber sooo schön, dieser Film. Noch nie einen ebenso liebevoll wie klug inszenierten Traum voll Witz und Wahrheit gesehen. Und – wie ich ja selbst gerade erfahren hatte – sooo unrealistisch war er nun auch wieder nicht in der Schilderung und Empfindungsdarstellung einer außergewöhnlich großen Liebesgeschichte. Nein, eher extrem schmerzhaft nah dran.

Und darüber hinaus natürlich: Dieses großartige Drehbuch, diese hervorragende Regie und diese sensationellen Schauspieler! Diese perfekten Bauten und die prächtigen Kostüme! Und natürlich die traumschöne Musik! Und neben all dieser ebenso leidenschaftlichen wie Happy-End-losen Liebe immer diese wundervolle Shakespear'sche Sprache in Mono- und Dialogen, besonders in der so ergreifenden Abschiedsszene zwischen Viola und William. Ach.

Und weil ich auch grad wieder eine (hoffentlich nicht bedenklich lang anhaltende) Schreibblockade hab, schieb ich ihn mir jetzt gleich noch mal wieder ins Laptop rein. Und muss allein beim dran Denken schon wieder leise schniefen. Warum? 'Ich weiß es nicht. Es ist ein Wunder.' (Mein Lieblingszitat)"



SHAKESPEARE IN LOVE ist eine moderne Kostümfilm-Romcom mit Biopiceinschlag, weshalb ich, vorurteilsbeladen, wie ich nun mal bin, sicherheitshalber nie in Erwägung gezogen habe, mir den Film mit Joseph Fiennes und Gwyneth Paltrow anzugucken.
Doch da scheine ich was verpasst zu haben. Der Biopic-Aspekt spielt nicht wirklich ein Rolle, da so wenig über Shakespeares Leben in seinen jüngeren Jahren bekannt ist, dass die Drehbuchautoren Tom Stoppard (BRAZIL) und Marc Norman recht frei walten konnten.

Und als romantische Komödie scheint die Unternehmung durchaus gelungen zu sein. Das Filmlexikon meint: "Herausragende Darsteller, ein kongeniales Drehbuch und die entschlossene Inszenierung verbinden sich zu einem fulminanten filmischen Feuerwerk, das als augenzwinkernde Satire auf den Filmbetrieb, aber auch als intelligente Reflexion über den Wirklichkeitsgehalt von Fiktionen gelesen werden kann."
"Ist das ein Film oder eine Anthologie? Mir war's egal. Ich wurde mitgerissen vom Witz, der Energie und der überraschenden Anmut", schrieb Roger Ebert.

Für mich ist dieser siebenfache Oscargewinner eine echte Entdeckung.




Richard Kähler, der den Christian erst in jüngster Zeit zwischen Vor- und Nachnamen schiebt, hat in den späten Siebzigern zusammen mit Hans W. Saalfeld in Hamburg das legendäre Nonsensmagazin Mark & Bein produziert, in einer Miniauflage von einigen hundert Exemplaren, dessen schönste Beiträge später in Buchform eine sehr viel größere Verbreitung fanden. Von der ersten Ausgabe an schrieb er auch für die 1979 gegründete Titanic; ab dem sechsten Heft machte er, wieder zusammen mit Saalfeld, acht Jahre lang die KoLiBri-Seiten, auf denen, in Nachfolge der WimS-Rubrik in Pardon, statt Satire ausgemachter Blödsinn stattfinden durfte.
Eine treue Anhängerschaft erwarb er sich als "Teddy Hecht" in 100 Ausgaben einer regelmäßigen Kolumne, die er 1983 erstmals zwischen die "Briefe an die Leser" gemogelt hatte. In "Teddy's Trends" schwadronierte er in einem Stil, für dessen Beschreibung der Begriff "kodderschnauzig", den Kähler selbst oben verwendet, sicher der beste ist, über all die kranken Moden der achtziger Jahre.

Über Spoiler:
"Meine größte Sorge gilt momentan den Citroënwerken: Ihr 2CV, die gute alte Ente, die es ja mittlerweile zu Hunderten in der individuellen, immer ein und derselben Charleston-Lackierung zu sehen gibt, scheint aktuell der einzige Neuwagen zu sein, der noch nicht serienmäßig mit Heckspoiler (scherzhaft auch 'Hutablage' genannt) ausgeliefert wird. Ja, wollt Ihr denn endgültig bankrott gehen?"

Über Wollgeschäfte:
"Mädels, macht Schluss mit der Woll-Laden-Inflation! Macht das Wolllädchen, die Wollust, oder das Wollparadies von außen zu, steckt die finanzielle Schlappe weg und seid nicht zu arg frustriert, nur weil Ihr Euer Selbstgehäkeltes in Zukunft wieder selber tragen müsst – wer denn sonst?"

Über Einrichtung im "Japan-Look":
"Flach, kleine Möbel, weiß und leer. Licht und Schatten. Dazwischen der Mensch. Das hält man vielleicht drei Jahre aus – dann wird die Wohnlandschaft wieder mit Persern und Postern vollgerammelt. Weil das einfach gemütlicher ist."

Über kleine Hifi-Geräte:
"Dass sich Menschen mit ca. 1 Quadratzentimeter großen Fingerkuppen Geräte und so genannte Mini-Komponenten andrehen lassen, bei denen pro Quadratzentimeter circa ein gutes Dutzend Mini-Bedienungstasten erst mal zu finden und dann noch zu drücken sind, lässt mich schrill schmunzeln, wenn ich daheim auf dem Rücken liege und den Riesen-Volumenknopf meiner steinalten Maxi-Anlage mit dem Fuß bediene – groß, Leute, groß! Das ist Luxus!"

Über Schulterpolster:
"Ich bin zu jung, um aus den irrwitzigen Zeiten zu erzählen, als Frauen sich den Spitzbergen-BH noch mit Schaumgummi auspolsterten, um mehr zu scheinen als zu seinen. Aber ich werde nicht versäumen, meinen Kindern zu erzählen, wie es war, als ihre eigene Mutti Brust Brust sein ließ und sich stattdessen den Polsterschwindel unter das Herrenjackett stopfte, um mit Holzfällerschuhen die Männergeschäftswelt zu erobern."

Über Gerätefarben:
"Auch in deutschen Küchen geht es wohl schaurig zu: kein Küchenhilfsgerät, das nicht ausschließlich in den Farbtönen 'Eierschale erbrochen', 'Babyschissgrün' oder gar 'Leberwurst' zu haben wäre. Jaja, auch die Hausfrauen scheinen kein leichtes Dasein zu fristen."

Über Dreieckstücher:
"Wirklich überraschend sind doch die jungen Mädchen, die jetzt alle (statt wie noch vor ein paar Jahren mit einem wild-wüsten, schwarzweißen Palästinensterschal-Geknuddel um Hals und Visage) mit einem enorm rustikal gemusterten enorm korrekt sitzenden Dreieckstuch um und über die Schultern einhergeschritten kommen wie die bravste Münchner Bürgersfrau. Was ist los mit den Mädchen? Warum machen die plötzlich alle auf solide? Wollen die etwa geheiratet werden?"

Über herausnehmbare Autoradios:
"An meinem Schreibtisch drängeln sich in letzter Zeit junge Männer mit tragbaren Henkel-Radios in der Hand. Wenn man sie bittet, das erzteuer aussehende, mattschwarze Ding doch mal kurz hören zu lassen, behaupten sie, die Lautsprecher dazu unten im Auto gelassen zu haben. Ist das Fortschritt?"

Über künstliche Süßstoffe:
"Nutra Sweet, irgendein Assugrin-Schweinkram, wagt sich auf ganzseitige Anzeigen und steckt nun in jeder Cola, die mittlerweile wahrscheinlich dünn macht. Eklige Flüssig-Süß-Fläschchen und die Plastikspendertonnen mit den weißen winzigen, widerlichen Chemiezuckerpillen sieht man bevorzugt in den Patschhänden der dicksten und prallsten Watschelhennen auf Zulassungsstelle, Einwohnermeldeamt und wo immer sonst noch Beamtenfrauen gerade Kaffee trinken, wenn man irgend etwas von ihnen will – der Kalorienbombenteller Nougattorte steht natürlich gleich daneben. Dass nun aber sogar eine ehrwürdige alte Firma wie Kühne sich nicht entblödet, meine Lieblings-Rote-Beete z. B. nicht nur wie gehabt mit echtem Zucker zu süßen, sondern obendrein auch noch zusätzlich eine Extraportion Saccharin ins Glas haut, halte ich für den Gipfel des Scheißberges. Den können sie sich nun in Zukunft allein irgendwo reinschieben."

Über "Light"-Produkte:
"Leicht-leicht-leicht? Seicht-seicht-seicht! Hauptsache, der Bikini passt und der Kopf bleibt leer. Ich hingegen sage: 'Gewogen und zu leicht befunden'. Denn Gutes ist schwer. Und worauf ich und die Menschheit wirklich dringend warten, das ist zum Beispiel Cola heavy. Verstanden, Herren bei den Werbeagenturens? Trend kapiert? Reagiert? Gut."

Über Privatfernsehen:
"Herrlich, was für einen Scheiß die alles senden!"

Über "Der-die-dassen":
"Auch das unsägliche, öko-harmonisiersüchtige Der-die-dassen will & will & will nicht aussterben – obwohl ich diese schaurige Unsitte hier eisern über Monate hinweg totgeschwiegen habe. Nun ist es im Werbefernsehen: 'Ja, die Yogurette, die schmeckt so herrlich leicht! Hallo! Ich bin die Bettina Berger ...' Na, undsoweiter und undsodoof. Also, merke: 'Hallo! Ich bin die Hilde!' – 'Hallo! Ich bin der Peter!' A-ber: 'Hallo, ihr beiden. Ich bin Teddy! Das Arschloch!"

Sehr selten findet Teddy einen Trend auch mal richtig gut:
"Ja, Mädels, ich habe es nicht übersehen: Ihr seid schier wahnsinnig vor neuer Erotik! In alles, was man nur aufschlitzen kann, habt Ihr auch einen Schlitz gemacht: in Röcke, in Hosen, in Kleider – Schlitze, wohin man sieht. Sicherlich wollt Ihr damit so ganz nebenbei darauf hinweisen, dass Ihr auch anderswo einen wunderschönen Schlitz vorzuweisen habt ... Und dass Ihr den ebenfalls stets bis zum aufgeknöpften Anschlag offen tragt (auch auf die Gefahr hin, Euch dabei schwer zu erkälten), dafür danken Euch von Herzen alle, die stattdessen allzeit ein kleines Stengelchen mit sich herumschleppen".

Im Rückblick schreibt Richard Kähler, dass "Teddy's Trends" wegen des streng subjektiven privaten Kolumnenstils ja eigentlich das allererste Blog sei (Max Goldt fing mit seinen Kolumnen erst 1989 an) und kündigt folgerichtig eine Wiederaufnahme im Netz an. Bis jetzt ist da aber noch nicht viel passiert. Um – auch angesichts von Schreibblockaden, von denen oben die Rede war – die Hürde zu senken, habe ich eben diese Seite eingerichtet. Vielleicht beißt der Hecht ja an.

Falls nicht, kann man immerhin auf das Buch zurückgreifen, das alle Kolumnen bis 1989 sammelt.

Ab 1987 erschien "Teddy's Trends" übrigens in der Zeitschrift Kowalski ("Saublöder Name für 'ne Zeitschrift" stand auf dem Titel der ersten Ausgabe), die Kähler, wieder gemeinsam mit Saalfeld und wieder in Hamburg, im Verlag des Werner-Verlegers herausbrachte. Das Heft überflügelte vom Start weg, auch dank der Popularität der Werner-Comics, die Titanic in der Auflagenhöhe und bot weniger Satire, dafür viel viel Platz und Freiheit für höheren Blödsinnn von Autoren und Zeichnern wie Bernd Pfarr, Fritz Tietz, Fanny Müller (Geschichten mit Frau K.), Jean-Marc Reiser, Walter Moers, Gerhard Henschel, Kathrin Passig, Ralf König oder Michael Gutmann. 1991 verabschiedete sich Kähler vom täglichen Redaktionsalltag; zwei Jahre später kam für Kowalski und den ganzen Semmel-Verlach das Aus.

Seither verdingt sich Richard Kähler als freier Autor für Gott und die Welt, also für das Fernsehen und unterschiedlichste anständig zahlende Magazine und hat in jüngster Zeit als Frauenexperte ein Buch über Frauen und zwei über verliebte Teddybären veröffentlicht. Die Teddys heißen Anna & Elvis, bzw. Anna & Elvis & Bo, und ihre Geschichten werden von Kähler nicht nur in Versen erzählt, sondern auch mittels Fotos in liebevoll aufgebauten und beleuchteten Sets auf Location und im Studio bebildert. Ja, denn fotografieren kann er auch. Und musizieren. Aber am besten kann er, als Teddy Hecht, schwadronieren. Hoffentlich macht er das wirklich bald mal wieder.




Und ein Film, den wir glücklicherweise nicht gesehen haben:

Shakespeare-Darsteller Joseph Fiennes war mittlerweile Martin Luther, stand vor der Kamera als Antonio Vivaldi, und angeblich wird er demnächst auch noch Charles Darwin spielen. Eine seltsame Spezialisierung ist das.
So richtigen Schrott hat er aber auch gemacht. RANCID ALUMINIUM, "deutscher" Titel: "Extreme Risk" ist eine vermurkste Kriminalkomödie nach einem Roman von James Hawes. "Fahrige Verfilmung eines Bestsellers, die sich vergeblich um einen ironisch-lakonischen Anstrich bemüht und den an sich recht guten Darstellern nur hölzerne Dialoge zumutet," meint das Filmlexikon. Die Durchschnittsnote bei imdb: 3,7 (!).
"The only reason I went at all was because my girlfriend was in a post-SHAKESPEARE IN LOVE Joseph Fiennes phase. And oh dear god it's bad. (...) We were the only two people that didn't walk out at the screening we attended," schreibt ein imdb-Nutzer aus London.

Der jüngste Film des SHAKESPEARE -IN-LOVE-Regisseurs John Madden ist übrigens die Elmore-Leonard-Verfilmung KILLSHOT mit Mickey Rourke, die vom Studio leider erst ewig zurückgehalten wurde und dann im Januar in den USA ohne jede Werbung mit einer lächerlichen Anzahl von Kopien ihrem Untergang überlassen wurde. Mal schauen, ob der Film es trotzdem bis zu uns schaffen wird.