Nick Hornby:


"Robert Altmans NASHVILLE ist einer meiner Lieblingsfilme – das glaube ich jedenfalls. Ich habe ihn eine ganze Weile nicht mehr gesehen und das letzte Mal sind mir einige Longueurs mehr aufgefallen als je zuvor. Vielleicht sollte man seine Lieblingsfilme und -bücher am besten einfach in Ruhe lassen: Dass sie eine so herrausragende Position einnehmen konnten, bedeutet, dass sie zum exakt richtigen Zeitpunkt in dein Leben getreten sind, am genau richtigen Ort, und diese Umstände können nie wieder hergestellt werden. Manchmal wollen wir sie wieder besuchen, um herauszufinden, ob sie wirklich so gut sind, wie wir sie in Erinnerung haben, aber diesem Impuls sollte man mit Misstrauen begegnen, denn er setzt voraus, dass wir Grund haben, unseren kritischen Einschätzungen beim Älterwerden mehr zu trauen, während ich langsam glaube, dass das Gegenteil der Fall ist. Als ich NASHVILLE das erste Mal gesehen habe, war ich achtzehn, und ich war elektrisiert von den Tonartwechseln, den plötzlichen Gefühls- und Bedeutungsausbrüchen, dem Ehrgeiz, der teilweisen Verworrenheit und sogar den Prätentionen. Ich glaube nicht, dass ich schon vorher einen Film mit einem künstlerischen Anspruch gesehen hatte, und auf keinen Fall hatte ich so einen gesehen, der in einer mir bekannten Welt spielt. Also kam ich an dem Abend als etwas veränderter Mensch aus dem Kino, dem plötzlich klar geworden war, dass manches auch ganz anders gemacht werden kann. Nichts davon wird nochmal passieren, na und? Und warum sollte man an einer guten Sache rumpfuschen? Lieblingsfilme sollten dableiben, wo sie hingehören, irgendwo tief in einem früheren Selbst begraben.

Jan Stuarts : 'The Nashville Chronicles' beschreibt liebevoll die Entstehung des Films, und das Buch zu lesen war eine gute Art, sich noch einmal mit Robert Altmans besten sieben Stunden oder wie lang das Ding auch war, zu beschäftigen, ohne ihn zu ruinieren, indem man ihn ein viertes oder fünftes Mal anschaut. Und davon abgesehen ist NASHVILLE ein Film, der sich auf etwas anderes als ein Drehbuch (das aus dem Fenster geworfen wurde, bevor die Dreharbeiten losgingen) oder konventionelle Filmtechniken verlässt, um seine Wirkung zu erzielen; also ist ein Buch besonders nützlich, um die Mittel zu verstehen. Altman hat offenbar aufs Geratewohl gecasted – ein Schauspieler wurde genommen, als er gerade bei einem anderen vorbeikam, um Gitarrenunterricht zu geben, und Shelley Duvall war eine studentische wissenschaftliche Fachkraft, bevor sie in Altmans reguläre Truppe aufgenommen wurde. Dann war da sein berühmter Vérité-Ton, der die Erfindung eines neuen Aufnahmesystems notwendig machte und sein Vertrauen in Improvisation und seine außergewöhnliche Art mit Massenszenen umzugehen, die von allen Darstellern ununterbrochenes Improvisieren erfordert hat, falls er sie sich mit der Kamera herauspicken würde.... Eigentlich ist es unmöglich, dass der Film nicht gut ist. Vergesst alles, was ich gesagt habe! Besucht Eure Lieblingsfilme regelmäßig!
Es ist schön, wieder da zu sein."



NASHVILLE wurde 1975 gedreht und ist gerade einmal 159 Minuten lang. Ich kenne ihn nicht, und der einzige Grund dafür ist der Titel. Und dabei spielt die Countrymusikindustrie offenbar nicht einmal eine große Rolle. Würde er MEMPHIS, DETROIT oder CHICAGO heißen, hätte ich den Film wohl auch schon mit achtzehn gesehen. So habe ich dank meiner Vorurteile wohl noch eine echte Entdeckung vor mir.
Auf DVD ist er auf dem deutschen Markt nicht erhältlich; auch in Großbritannien gibt es keine Ausgabe; wer also illegale Downloads meidet, ist gezwungen, sich die amerikanische DVD zu bestellen und kauft sich dazu am besten gleich einen zweiten DVD-Player für den Regionalcode 1.



Mit Hilfe von Clara Drechsler, die zusammen mit Harald Hellmann seine Bücher ins Deutsche überträgt, hatte ich vor ein paar Wochen Nick Hornby nach seinem Lieblingsfilm gefragt. Nur eine Antwort habe ich nicht bekommen, was ja auch kein Wunder ist, wenn man als Betreiber eines obskuren Blogs in einer obskuren Sprache einen viel beschäftigten Autoren mit E-Mails belämmert. Aber die Anfrage war für mich zugleich der Anlass, mir Hornbys jüngste Bücher vorzunehmen, die Skater-Fabel "Slam" und die dritte und letzte Ausgabe seiner gesammelten Kolumnen für das amerikanische Magazin The Believer. Und darin bin ich auf die oben zitierte Passage über NASHVILLE gestoßen. Herr Hornby, ich bin gar nicht auf Ihre Antwort angewiesen.

Den Autoren von "Fever Pitch", "High Fidelity", "About A Boy", "How To Be Good" und "A Long Way Down" braucht man nicht groß vorzustellen, aber erstaunlich wenig bekannt sind bei uns seine Bücher-Kolumnen aus dem Believer. Eine Weile wurden sie für das von Florian Gillies gegründete Magazin Monopol vom bewährten Team ins Deutsche übersetzt und auch in zwei Sammelbänden bei Kiwi veröffentlicht, aber alles ohne große Resonanz. Vielleicht lag's daran, dass viele der vorgestellten Bücher nicht oder noch nicht auf Deutsch zu haben waren; vielleicht lag's an den potthässlichen Umschlägen der deutschen Ausgaben, die den dafür denkbar ungeigneten Autoren als Coverboy vorne drauf pappen haben.
Jeder der ursprünglich monatlich erschienenen Kolumnen sind zwei Listen vorangestellt: gekaufte Bücher und gelesene Bücher. Und dann plaudert Hornby in seinem unnachahmlichen Tonfall schlau über das, was er gelesen hat oder darüber, warum er nichts gelesen hat (WM) und das auf eine so unterhaltende und anregende Art, dass ich bei der Stange bleibe, auch wenn mich manche Lektüre keinen Deut interessiert. Wenn etwas so gut geschrieben und mit intelligenten Abschweifungen gespickt ist, würde ich das auch noch gerne lesen, wenn es statt um Bücher um Autos oder Mode ginge. Oder um Fußball.
Die ersten beiden Kolumnenbände sind in Großbritannien zusammen in einem Paperback erhältlich; der dritte ist bislang nur in den USA erschienen; eine deutsche Ausgabe wird es wohl nicht geben.
Nicht minder empfehlenswert sind seine Popessays in "31 Songs": Da geht es jeweils um ein Lied, und so willkürlich die Songauswahl ist, so wenig vorherzusehen ist jeweils die Richtung, die der Text nimmt. Kompromisslose Subjektivität ist eine tolle Sache, wenn Nick Hornby das Subjekt ist. (Und eine Katastrophe bei manch anderen Subjekten.)



Und ein Film, den wir glücklicherweise nicht gesehen haben:

Ja, sowas hat Meister Altman auch verbrochen: Die Adaption eines Cartoons als Realfilm mit viel Gesang und Robin Williams in der Hauptrolle. Ich kann mir kaum etwas Entsetzlicheres vorstellen. POPEYE entstand gerade mal fünf Jahre nach NASHVILLE.